„Warum ich gegen die EU-Kommission gestimmt habe“

Petra Kammerevert, MdEP Bild: © FKPH

Ja, es stimmt, dass der neuen Kommission auch einige Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten angehören – allen voran unser Spitzenkandidat Frans Timmermanns, der als erster Vizepräsident eine herausragende Position in der Kommission einnehmen und mit Sicherheit einen guten Job machen wird. Mit anderen Kommissaren, wie Mariya Gabriel habe ich bereits in der letzten Legislaturperiode gut zusammengearbeitet, obwohl sie der Europäischen Volkspartei (CDU/CSU) angehört. Dennoch habe ich mich entschieden, dieser Kommission unter der Führung von Ursula von der Leyen heute nicht mein Vertrauen auszusprechen.

Die Gründe dafür sind vielfältig:

1. Die Kommissionspräsidentin wurde uns von den Staats- und Regierungschefs quasi aufoktroyiert, nachdem keiner der Spitzenkandidaten im Rat durchsetzbar war und eine unselige Allianz aus Macron und Orban Ursula von der Leyen aus dem Hut gezaubert hatte. Damit hat der Rat das Spitzenkandidatenprinzip unterwandert und das Versprechen, dass alle großen Parteien in Europa ihren Wählerinnen und Wählern gegeben haben, mit ihrer Stimme bei der Europawahl auch über den Kommissionspräsidenten zu entscheiden, in fahrlässiger Weise gebrochen.

2. Um ihre Wahl im EU-Parlament sicherzustellen, hat von der Leyen allen alles versprochen, ohne auch nur mit einem Wort zu erwähnen, wie das alles finanziert werden soll – in dem Wissen, dass schon jetzt die zu erfüllenden Aufgaben mit dem Geld, das die Mitgliedsstaaten bereit sind zur Verfügung zu stellen, nicht zu stemmen sein werden. Eine Antwort darauf ist sie bis heute schuldig geblieben.

3. Die Aufgabenbereiche der einzelnen Kommissare wurden von von der Leyen derart zerstückelt, das am Ende niemand mehr weiß, wer eigentlich für was zuständig ist. Kompetenzrangeleien im Kommissarskollegium und im Parlament sind damit vorprogrammiert – was den Herausforderungen, vor denen die EU steht, in keiner Weise gerecht wird.

4. Den Vertreter Ungarns zum Kommissar für Nachbarschaftspolitik und Erweiterung zu machen, halte ich für grob fahrlässig und hochgradig gefährlich. Wie ein Gefolgsmann Orbans, unter dessen Regie rechtsstaatliche Prinzipien sowie grundlegende Freiheitsrechte wie Meinungsfreiheit, Medienvielfalt, die Freiheit von Lehre und Forschung etc. ständig mit Füssen getreten werden, Beitrittskandidaten erklären soll, wie Rechtsstaatlichkeit zu organisieren ist, bleibt mir ein Rätsel.
Zwar hat sich Oliver Varhelyi nach Aufforderung des EU-Parlaments von Orban insofern distanziert, als dass er zugesichert hat, nicht der Befehlsempfänger Orbans zu sein. Am Wochenende hat Letzterer dies aber insofern relativiert, indem er öffentlich in mehreren Sprachen hat verbreiten lassen, das „Spiel mit dem Distanzieren“ müsse man nicht weiter ernst nehmen. Hohe Posten besetze er nur mit „guten Patrioten“ und Varhelyi sei ein „hervorragender ungarischer Patriot“ (siehe SPON-Artikel von Markus Becker zur heutige Wahl der Kommission).

5. Ein millionenschwerer Geschäftsmann eines großen französischen und international tätigen Unternehmens, Thierry Breton, wird zum Superkommissar gemacht – zuständig für Binnenmarkt, Verbraucherschutz, Industriepolitik, Aufbau einer europäischen Sicherheitspolitik und audiovisuelle Medien. Ein Aufgabenbereich der für einen allein kaum zu stemmen ist. Zudem fallen alle seine Zuständigkeiten in Bereiche, in denen das Unternehmen, das er vorher führte, tätig ist. Schwerwiegende Interessenkonflikte sind hier vorprogrammiert.
Seine Zusage, nicht in Bereichen tätig zu werden, die sein bisheriges Unternehmen betreffen, würde aus meiner Sicht bedeuten, dass er eigentlich gar nichts machen kann und damit bei einem riesigen Aufgabenbereich eher als Teilzeitkommissar unterwegs ist. Dem ausdrücklichen und mehrfachen Wunsch des Ausschusses für Kultur und Bildung, der auch für die Medienpolitik zuständig ist, ihm wenigstens die audiovisuellen Medien zu entziehen und in den Verantwortungsbereich der für Kultur und Innovation zuständigen Kommissarin Gabriel zu geben, ist von der Leyen nicht nachgekommen.
Ganz offensichtlich ist das Superkommissariat für den französischen Kandidaten und die Zuständigkeit des ungarischen Kandidaten für Nachbarschafts- und Erweiterungspolitik der Preis den von der Leyen für ihre Wahl zu zahlen hatte.

6. Zwar hat von der Leyen den Titel von Kommissarin Gabriel nun in letzter Minute um die Begriffe, „Kultur“, „Bildung“ und „Forschung“ erweitert, aber allein die Tatsache, dass es des massiven Drucks des EU-Parlaments und der Öffentlichkeit bedurfte und bis zum heutige Tag gedauert hat, zeigt schon, welchen Stellenwert von der Leyen diesen, aus meiner Sicht immens wichtigen Themenbereichen beimisst.